Angewandte Wissenschaft, Technologie, Handlungswissenschaft und Profession
A. Angewandte Wissenschaft »Angewandte Wissenschaft« ist ein seit Ende des 19. Jh. gebräuchlicher aber diffus gebliebener Begriff für die Suche nach neuem wissenschaftlichem Wissen von praktischem Nutzen in- und ausserhalb von Universitäten und Fachhochschulen. Im Unterschied zu den Basiswissenschaften sind die Angewandten Wissenschaften keine Familie von Disziplinen, sondern eine hybride (residuale) Gruppe von Diszipinen und Forschungsfeldern. So zählen zur Angewandten Wissenschaft so heterogene Aktivitäten wie
- basiswissenschaftliche Forschung in Bezug auf problematische Zustände und Prozesse (Problemforschung);
- die Anwendung formalwissenschaftlichen Wissens auf basis- und handlungswissenschaftliche Fragestellungen (angew. Mathematik);
- Anwendungszweige grundlagenwissenschaftlicher Disziplinen (z.B. angewandte Physik);
- ad hoc Anwendungen von basiswissenschaftlichem Wissen zu Lösung partikulärer (lokaler) praktischer Probleme (z.B. Ingenieurswissenschaften);
- Disziplinen, die standardisierte Verfahren der Bearbeitung praktischer Probleme, d.h. Technologien, entwickeln (z.B. Pharmakologie);
- Disziplinen, die sich mit der Anwendung von wissenschaftsbasierten Verfahren (Technologien) zur Lösung von Klassen praktischen Probleme durch menschliche Individiduen beschäftigen (Handlungswissenschaften).
Technologische Disziplinen
Eine Methode ist ein System von Regeln und eine Technologie ist eine besondere Methode, nämlich ein System von Regeln a) deren Wirksamkeit nachgewiesen ist (Wirkungssicherheit) und b) deren Wirkmechanismen bekannt sind bzw. die durch erklärende Theorien erhellt werden. Auf der Basis der Mechanismen ergeben sich auch Hinweise auf die Bedingungen der Wirksamkeit der Methode und damit ihrer Anwendbarkeit. Technologische Disziplinen wie z.B. die Pharmakologie entwickeln Technologien zur Bearbeitung praktischer Probleme einer bestimmten Art.
Handlungswissenschaften
Technologische Diszipinen sind auf die Entwicklung standardisierter Verfahren zur Lösung praktischer Probleme beschränkt. Demgegenüber liegt der Fokus der Handlungswissenschaften auf den Prozessen der Anwendung von Technologien zur Lösung von praktischen Problemen im Rahmen von auf Veränderungen von Dingen (Systemen) zielenden Handlungen menschlicher Individuen. Beispiele: Medizin, Psychiatrie, Jurisprudenz, Psychologische Therapie, Pflege- und die Gesundheitswissenschaft, Erziehungswissenschaft, Sozialarbeitswissenschaftn Polizeiwissenschaft u.a.m.
Während handlungswissenschaftliche Disziplinen Verfahren zur Lösung wiederkehrender praktischer Probleme entwickeln und den Prozess ihrer Anwendung untersuchen und damit auf die Lösung kognitiver Probleme gerichtet sind, sind Professionen auf die Lösung spezifischer Klassen von praktischen Problemen durch menschliche Handlungen gerichtet.
B. Professionen Im Unterschied zu den Basis- und Handlungswissenschaften, die kognitive Probleme bearbeiten Professionen bearbeiten praktische Probleme einer bestimmten Art im Rahmen der methodisch kontrollierten Anwendung von Technologien. Nicht alle Anwendergruppen von handlungswissenschaftlichem Wissen werden jedoch Professionen genannt. Zu diesen zählen nur jene jene Nutzergruppen von Technologien, die ihre Verfahren zur Bearbeitung von praktischen Problemen von Individuen nutzen, die Ausdruck existentieller Krisen sind. Dazu zählen schwere Formen biologischer, psychischer, sozialer und kultureller Probleme (wobei leichte Probleme dadurch definiert sind, dass sie mit im Alltag verfügbaren Rahmen bearbeitet werden können.
Eine Profession ist ein Soziales System, dessen Mitglieder Professionelle sind, die sich bei der Lösung ihrer praktischen Probleme auf wissenschaftsbasierte Methoden (Verfahren, Procederes) stützen. Eine professionelle Methode ist dabei ein Verfahren, das auf einem wissenschaftlichen Verständnis der Mechanismen beruht, die durch (professionelle) Handlungen im Interventionsbereich in Gang gesetzt oder modifiziert werden und das im Rahmen einer Abfolge von vor- und nachbereitenden Operationen im Hinblick auf die Lösung eines praktischen Problems zum Einsatz kommt.
Ein praktisches Problem der gegenwärtigen Professionen besteht darin, dass sie im Rahmen von marktorientieren sozialen Strategien durch betriebswirtschaftliche Verfahren ersetzt und damit in ihrer Existenz bedroht werden (Schnurr 2005 und weitere Literatur dort). Besonders stark von dieser Strategie betroffen ist die Soziale Arbeit, die z.T. selber diese Strategie übernommen hat.
Ihr Ziel erreichen sie durch die Anwendung handlungswissenschaftlicher Methoden (d.h. von speziellen Handlungstheorien) im Rahmen systematischen problemenlösenden Handelns, das durch eine allgemeine Methode der Lösung praktischer Probleme gesteuert wird (Allgemeine Handlungstheorie).
Im Unterschied zu den Basiswissenschaften mit ihrem Ziel der Beschreibung, Erklärung und Prognose, nicht aber der Modifikation von Fakten, sind Professionen auf die Veränderung von konkreten Dingen mittels Handlungen gerichtet, die sie durch die Veränderung anderer konkreter Dinge, nämlich der Handlungen der Professionellen, zu erreichen trachten.
Dieses handlungswissenschaftliche Handlungswissen ist sodann die kognitive Ressource, mit der Professionen jene spezifischen praktischen Probleme bearbeiten, auf deren Lösung sie gerichtet sind.
Menschliches Handeln beruht überwiegend auf habitualisierten oder bewusst formlierbaren oder formuierten Verfahren (Routinehandlungen und Alltagsmethoden). Von diesen sind sich einer grossen Zahl von Verfahren, deren Mechanismen im Unterschied zu Technologien nicht bekannt sind und deren Wirkungssicherheit im günstigen durch Erfarhung bestätigt ist, ohne dass jedoch der Anwendungsbreich der Methode bekannt wäre.
- Es handelt sich erstens um wissenschaftliche Disziplinen, die systematisiertes Handlungswissen zur Lösung praktischer Probleme physikalischer, chemischer, biologischer, psychischer und sozialer Art entwickeln und vermitteln.
- Impliziter oder expliziter Kern solchen Handlungswissens ist zweitens eine allgemeine Methode der Lösung praktischer Probleme, d.h. eine allgemeine normative Handlungstheorie sowie spezielle Handlungstheorien oder Methoden, d.h. auf (Systeme von) Regeln.
- Drittens stützen sich Handlungswissenschaften bei der Entwicklung ihrer Methoden systematisch auf nomologisches basiswissenschaftliches Wissen. Solche Verfahren sind m.a.W. wissenschaftsbasiert, im Unterschied zu Alltagsverfahren, deren Regeln Faustregeln auf der Grundlage von Erfahrungswissen sind.