Abriss der Geschichte der Sozialarbeit in der Schweiz[1]

Erste Ansätze zu einer Professionalisierung von Sozialarbeit in der Schweiz entstanden zwischen 1900 und 1920. Das im 19. Jh. dominierende Modell der freiwilligen privaten weiblichen Fürsorge (kon­fes­sionell, grossbürgerlich oder sozialdemokratisch motiviert) wurde zunehmend als ungenügend wahrgenommen. Pionierinnen, die meistens mit der Sozialarbeit in Deutschland und Grossbritannien in Kontakt gekommen waren,  schufen, unterstützt von sozialpolitisch engagierten Männern, erste Ausbildungsangebote (Zürich ab 1907), zunächst im Bereich der Kindererziehung, später auch in der allgemeinen Fürsorge.

Eine erste Institutionalisierungsphase führte zur Grün­dung von drei privaten Ausbildungsstätten: Genf (Ecole d’études sociales pour femmes, 1918), Luzern (Sozial-charitative Frauenschule 1918), Zürich (Schule für Soziale Frauenarbeit, 1921), die später vom Staat finanziell unterstützt wurden. Pläne einer gesamtschweizerischen Ausbildungsstätte wurden aufgrund der parallelen Entwicklungen in den verschiedenen Kantonen fallengelassen.

Eine zweite Gründungsphase in den dreissiger und vierziger Jahren führte zu Gründungen von hauptsächlich sozialpä­dagogisch ausgerichteten Schulen, während dem sich die ursprünglich Schulen stärker auf die Sozialarbeit konzentrierten und dort Schwerpunkte in der Einzelhilfe, Gruppen- und Gemeinwesenarbeit hatten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg öffneten sich die Schulen auch für Männer, der Frauenanteil in Ausbildung und Praxis ist (im Gegensatz zu den Leitungsfunktionen) bis heute wesentlich höher geblieben als der Männeranteil. Mit dem Ausbau des Sozialbereichs und der zunehmenden Differenzierung der Berufsfelder ging eine entsprechende Differenzierung der Ausbildungen (neue Schulen und Ausbildungsgänge wie Früherziehung, Heimerziehung, soziokulturelle Animation u.a.), sowie die Errichtung von Weiterbildungsangeboten einher.

Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Schulen war, nicht zuletzt aus konfessionellen Gründen, schlecht. Eine lose Koordination besteht seit 1948 durch eine Arbeitsgemeinschaft (SASSA), in der die verschiedenen Schulen vertreten sind. Ein Berufsverband (SBS, gegründet 1933) vertritt berufspolitische Interessen. Die zunächst meist einjährigen Ausbildungsgänge vermittelten nebst allgemeinbildenden Inhalten v.a. berufspraktisches Wissen mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Der theoretische Teil der Ausbildung wurde sukzessive ausgebaut (aber wenig systematisiert), ebenso die Studiendauer (seit den achtziger Jahren in der Regel drei Jahre Vollzeit, bzw. 4 Jahre berufsbegleitend).

Nach 1968 nahm die sozialwissenschaftlichen Ausrichtung der Ausbildungen zu. Neue Impulse kamen Ende der neunziger Jahre durch die Umwandlung vieler Schulen in FHS und die Koordination der Hochschulpolitik im europ. Raum. Im Gegensatz zu anderen Ländern (D, USA) entwickelte sich die Sozialarbeit in der Schweiz weitgehend getrennt von den Hochschulen (Lehr­stühle Sozialpädagogik Zürich, Sozialarbeit Fribourg) und unter schwacher Rezeption der internationalen disziplinären Forschung. Damit ging auch das (für die mangelnde Professionalisierung mitverantwortlich) weit­gehende Fehlen einer eigenständigen disziplinären Theoriebildung einher. Neuere Ansätze (Sozialarbeitswissenschaft) versuchen seit den achtziger Jahren dieses Defizit zu überwinden.

Die Tätigkeit der Sozialarbeit änderte sich stark: Zu Beginn stand v.a. die Armenfürsorge im Vordergrund, später kam die Arbeit im Vormundschaftswesen und im expandierenden sozialpädagogischen Bereich hinzu. In der jüngeren Vergangenheit hat die beratende Tätigkeit in neuen Handlungsfeldern (Schule, Migration, Konflikte u.a.) zugenommen. Geändert hat auch das Selbstverständnis von Sozialarbeit: Zu Beginn im Sinne der „sozialen Mütterlichkeit“ konzipiert, hatte sie bald auch eine sozialdisziplinierende und bürokratische Funktion, die sie seit den achtziger Jahren mit einer stärkeren lebensweltlichen Ausrichtung der Tätigkeit und der Orientierung an den Menschen- und Sozialrechten zu überwinden sucht.

 

Nachtrag (W. Obrecht): Eine informative Darstellung eines dunklen, jedoch bedeutsamen Kapitels der schweizerischen Sozialen Arbeit fin­det  bietet die Arbeit von Patrick Zobrist:  Zobrist, P. (1999). Die Dar­stellung der "Sozialen Arbeit" an der Schweizerischen Landesausstellung 1939 in Zürich. Eine Annäherung an die Geschichte der Sozialen Arbeit in der zweiten Hälfte der 30er Jahre in der Schweiz. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Hochschule für Soziale Arbeit Zürich. Betreut wurde diese Arbeit


[1]    Wolfisberg, Carlo, Artikel „Sozialarbeit/Travail Social/Lavoro Sociale“ in Historisches Lexikon der Schweiz, 2001, www.hls.ch.    Redaktionelle Bemerkung: Die zahlreichen der Kürze halber gewählten Abkürzungen des Originals wurden für vorliegende Fassung ausgeschrieben. Ferner wurde der Text in Abschnitte gegliedert und ein neuer Titel gewählt.